INTERPLAST-Einsatz Bad Kreuznach im Nepalkrankenhaus
Das Interplast-Krankenhaus in Nepal, nahe der Hauptstadt Kathmandu auf einem Felsvorsprung gelegen, das Dr. André Borsche und seine Frau Eva im März 2023 besuchten, feierte im November sein 25-jähriges Jubiläum. Während der 2 ½ Jahre Reisebeschränkung durch Corona war das Hospital ganz auf sich gestellt. Die nepalesischen Kollegen leisteten damals großartige Arbeit.
50 Notbetten wurden für die schwer Erkrankten aufgestellt. Das Personal arbeitete trotz Ansteckungsgefahr bis zur Erschöpfung fünf Monate für halben Lohn. Personelle Hilfe aus Deutschland war bis zum Frühjahr 2022 nicht möglich. Bei unserem ersten Besuch im März 2022 waren wir schwer beeindruckt von dem perfekten Ablauf, den anspruchsvollen Operationen, dem verantwortungsvollen Umgang mit den von uns zur Verfügung gestellten Mitteln.
Wir genossen eine Oase der Menschlichkeit in der Medizin. Wir erlebten Zuhören, Trösten, Geduld. Verbrennungswunden brauchen oft Wochen bis zur Heilung bei täglichen schmerzhaften Verbandswechseln. Wir fanden Hingabe: nichts ist zu viel, keine Operation zu lang, zu schwer.
Das Wohl des Patienten ist das einzige Ziel. Wir spürten eine Oase der Harmonie: konstantes Personal, freundschaftlich miteinander verbunden, sich gegenseitig unterstützend. Wir erkannten hier eine Oase der Medizinethik: immer im Interesse des Patienten, immer unter Abwägung aller Aspekte, sich selbst beiseitestellend. Eigene Vorteile spielen hier keine Rolle (Karriere, Geld), es herrscht Bescheidenheit. Eine Oase der Hilfsbereitschaft erschien das Hospital uns auch in diesem März zu sein.
Gleich nach unserer Ankunft begegneten wir auf der Abendvisite der jungen Nanda: eine 1 ½ Tagesreise hatten Vater und Tochter auf sich genommen, um uns um weitere Hilfe zu bitten: schon mit 14 Jahren musste Nanda zum kargen Einkommen ihrer bäuerlichen Eltern beitragen. Sie half in der benachbarten Mühle, die schweren Kornsäcke zu tragen und die Mahlmaschine zu bedienen. Eines Tages, sie war gerade 17 geworden, verfing sich ihr Haar zwischen den Mühlsteinen und die Kraft des Mahlwerkes riss ihr die gesamte Kopfhaut vom Schädel. Zur Versorgung der riesigen Kopfwunde verkauften die Eltern in ihrer Not alles, was sie besaßen, und begaben sich mit Nanda auf den weiten Weg nach Indien, in der Hoffnung eine Spezialklinik möge ihr dort helfen. Doch letztendlich gelang es leider nicht die große Wunde zu decken. Verzweifelt fuhr die Familie wieder heim nach Nepal. Auf dem Weg hörten sie durch Zufall vom INTERPLAST-Hospital. War es möglich, dass sie, verarmt, wie sie nun waren, dort noch Hilfe finden sollten? Gab es doch noch Hoffnung für Nanda? Würde es den Verbrennungsspezialisten dort gelingen, was in Indien für viel Geld nicht machbar gewesen war?
Scheu betraten sie damals die Gartenanlage unseres Krankenhauses. Liebevoll und gründlich wurde Nanda untersucht und nach Beratung der Ärzte untereinander hieß es: ja, sie wollten die Operation wagen! Nanda gesamter Schädel wurde mit Hauttransplantaten von ihren Beinen gedeckt. Durch die professionelle und hingebungsvolle Pflege heilte alles komplikationslos an und Nanda konnte zum ersten Mal wieder schmerzfrei ihren Kopf zum Schlafen auf ihr Strohkissen betten.
Ein Jahr später aber waren die Narben auf Nanda Stirn so stark geschrumpft, dass sie ihr linkes Auge nicht mehr schließen konnte. Im März 2022 versorgten wir sie daher während unseres Aufenthaltes im Nepalkrankenhaus mit einem „Verschiebelappen“. Ihr schönes Gesicht war nun fast wieder hergestellt. Zum jetzigen Einsatz ist Nanda zur Nachbehandlung ihrer Narbenplatte gekommen. Ihre linke Ohrmuschel ist bei dem Unfall fast vollständig abgerissen und die neue Kopfhaut ist noch sehr empfindlich.
„Was würdest Du Dir am meisten wünschen?“, fragen wir sie. „Neue Haare“, ist ihre prompte Antwort. Da momentan keine weitere Operation geplant war, fuhren wir mit ihr am nächsten Morgen zu einer Perückenmacherin nach Kathmandu. Dort sah das Mädchen, noch verstört von den ungewohnten Geräuschen der Großstadt, zum ersten Mal seit Jahren im großzügigen Spiegel des Perücken-Ateliers ihr Gesicht von schwarzen Haaren umkränzt. Im ersten Moment schien sie dadurch schmerzlich an ihren Unfall, an ihre letzten unversehrten Minuten, erinnert zu werden, doch schnell breitete sich ein strahlendes Lächeln, Freude und tiefe Dankbarkeit aus: „Wie gut, dass ich zu Interplast und den Ärzten gefunden habe, 1000 Dank!“.
Auch die junge Bishnu hat belastende Jahre hinter sich. Sie leidet an einer schweren Form der Neurofibromatose, einer sich verschlimmernden angeborenen Krankheit, die überall an Körper und Gesicht das Unterhautgewebe zu großen Knollen und elefantenartigen, großflächigem Schwellungen und Beuteln wachsen lässt.
Viel von den schweren Aussackungen, die ihr rechtes Gesicht abwärts zerrten, sodass sie weder Auge noch Lippen schließen konnte und der Speichel aus dem Mundwinkel rann, konnten wir letztes Jahr entfernen. Viel war in der Zwischenzeit wieder gewachsen. Nun sollte in einer großen Operation ein Sehnentransplantat aus dem Oberschenkel eine dauerhafte Aufhängung von Mund und Augenlid gewährleisten. Aus geplanten 4 wurden fast 6 Operationsstunden. Die nepalesischen und deutschen Helfer blieben bis zur letzten Minute konzentriert bei der Sache. Mit einem riesigen Druckverband konnte Bishnu auf die neu eingerichtete Wachstation, und, nach einer ruhigen Nacht, in ein Fünf-Bett Krankenzimmer verlegt werden.
Im Nachbarzimmer liegen seit Wochen drei junge Männer in ihren Betten auf dem Bauch. Sie sind querschnittsgelähmt und werden hier mit höchstem pflegerischem und operativem Einsatz, mit ärztlichem Engagement und schwesterlicher Geduld und Einfühlungsvermögen behandelt. Voller Hoffnung und von kräftiger Gesundheit waren sie Monate vorher in die arabischen Staaten aufgebrochen, um gutes Geld für ihre Familien zu verdienen. Ohne Arbeitsschutz verunfallten sie dort, stürzten vom leicht gebauten Gerüst und brachen sich den Rücken. Als lebenslange Krüppel brachte sie ein Flugzeug wieder nach Nepal zurück.
Wie wunderbar, dass die vielfältigen Spenden auch diesen Menschen helfen können! Mit plastischen Operationen ihrer Liege-Geschwüre, täglicher fachspezifischer Krankengymnastik und für den einen oder anderen vielleicht sogar mit einem Rollstuhl versorgt zu werden, ist für die armen Menschen hier ein Geschenk.
In den 25 Jahren des Bestehens des Krankenhauses haben Ärzte, Schwestern und Physiotherapeuten, unglaublich viel Erfahrung in der Versorgung von Querschnittsgelähmten und Schwerstverbrannten gesammelt. Jeder Fall ist gewissenhaft dokumentiert und eingeordnet. Um diesen Wissensschatz weitergeben zu können, setzen wir uns dafür ein, unser Krankenhaus zu „akademisieren“. Vorlesungen und Lehroperationen können dann Ärzten aus aller Welt helfen, auch ihre Patienten erfolgreich zu behandeln.
Nicht nur im medizinischen Bereich hat das SKM-Hospital Vorbildqualität: der Ingenieur und Interplast-Leiter des Krankenhauses, Hein Stahl, hatte vor 20 Jahren mit einfachsten Mitteln einen Hochtemperaturofen erbaut, der den gesamten Krankenhaus-Müll, sogar Plastik und Stahl, rückstandsfrei verbrennt! Aus einer mit Pflanzen und Kies funktionierenden Abwasserrückgewinnungsanlage fließt am Ende des dritten Beckens sauberes, durch das Gesundheitsamt geprüftes Wasser, das direkt zur Bewässerung auf die angrenzenden Kartoffelfelder geleitet wird. Die Sonne erwärmt auf dem Dach große Warmwassertanks und erzeugt per Fotovoltaik den Strom für den Operationstrakt. An Regentagen springt ein dieselbetriebener Generator an. Das Krankenhaus hat seine eigene Trinkwasserversorgung, hunderte Meter Wasserleitung hat Hein Stahl in den steilen Reisterrassen und unter dem kleinen Fluss im Tal verlegt. Unterhalb des Krankenhaus-Rosengartens wurde ein großer Wasser-Vorratstank gegraben. Alle Gebäude sind erdbebensicher gebaut und gewährten daher bei dem großen Beben 2015 einem Ansturm von Kranken und Verletzten eine sichere Zuflucht. Der zentrale Sauerstoffkondensator, der im Frühjahr 2020 angeschlossen wurde, hat viele Patienten vor Atemnot und Erstickung gerettet.
Alle Zimmer sind hell und gut belüftet. Der mit hübschen Tonfiguren verzierte Brunnen im Innenhof wird zu jeder Tageszeit von zähneputzenden oder wäschewaschenden Angehörigen belebt. In der zum Garten offenen kleinen Kantine sitzen Ärzte und Patienten an wackeligen Tischchen mit einem Teller Reis und Linsensoße und einem kleinen Becher Tee. Kinder schaukeln, hüpfen und wippen auf der großen Rasenfläche. Vor dem Verwaltungsgebäude blühen die Amaryllis. Das Tempelchen am Hospitaleingang ist mit frischen gelben Blüten geschmückt. Heiterkeit, Sonne und Freundlichkeit überall. Wahrhaft der richtige Ort, um zu genesen! Lasst uns alles tun, um ihn zu pflegen und zu erhalten!
Eva Borsche