Der Besondere Patient 2025: Innovatives Filmprojekt somalischer Selbsthilfegruppe

Leipzig, 25.09.2025 – Die Deutsche Gesellschaft für Plastische, Rekonstruktive und Ästhetische Chirurgie (DGPRÄC) e.V. verleiht den Preis „Der besondere Patient“ 2025 an das „Halima Kollektiv“, eine Selbsthilfegruppe somalischer Überlebender weiblicher Genitalbeschneidung (FGM/C). Die vier Frauen – Eido, Fartun, Fahma und Jawahir – haben zusammen mit der Filmemacherin Linda Verweyen und Hawo Abdulle von „Frauenrecht ist Menschenrecht e. V.“ (FIM) den Kurzfilm „Halima – Eine Anleitung zum Starksein“ geschaffen. Damit brechen sie das Schweigen über FGM/C, dienen anderen Betroffenen als Vorbild und schaffen gesellschaftliche Aufmerksamkeit für ein lange tabuisiertes Thema.

Vier Frauen, ein Film, ein starkes Signal
Alle vier Frauen stammen aus dem von Krieg zerrütteten Somalia, wo sie als Kinder der Genitalbeschneidung unterzogen wurden. Diese menschenrechtsverletzende Praxis hatte jahrzehntelang Einfluss auf ihr Leben: chronische gesundheitliche Probleme und seelische Belastungen, dies alles unter einem Schleier der Tabuisierung. Hoffnung gab es erst seit ihrer Flucht nach Deutschland, wo mit der Unterstützung des Beratungszentrums Frauenrecht ist Menschenrecht e.V. (FIM) endlich die Tür zu einer angemessenen medizinischen Versorgung geöffnet wurde. Der Film „Halima – Eine Anleitung zum Starksein“ erzählt von dieser Realität, den Hürden im Alltag Betroffener und von ihrer Resilienz. Basierend auf ihren Geschichten verkörpert die Figur Halima das gemeinsame Erleben – eine Frau, die trotz Krieg, Flucht, Ausgrenzung und den Folgen von FGM/C Stärke entwickelt. Nach einer Rekonstruktions-Operation macht sie sich auf den Heimweg, mit der Regionalbahn. Die Zugfahrt, die den Filmrahmen bildet, wird zur Metapher für ein Leben voller Stationen, in dem Schmerz, Widerstände, aber auch Kraft und Hoffnung ihren Platz haben.

Formen der weiblichen Genitalverstümmelung
Wie umfangreich eine Wiederherstellung von Form und Funktion ausfallen kann, hängt zunächst davon ab, auf welche Art und Weise die Betroffenen verstümmelt wurden. Dabei reicht das Spektrum von der Amputation der Klitorisspitze und/oder der Klitorisvorhaut über die Abtrennung der inneren Labien bis hin zur Entfernung auch der äußeren Labien und der Vernähung der entstandenen Wunde, sodass nur eine sehr kleine Vaginalöffnung bleibt (Infibulation).

„Man kann die Gefährlichkeit dieser Praxis nicht übertreiben. Eine solche Verstümmelung birgt zunächst unmittelbare Risiken, etwa die Übertragung von Krankheiten wie HIV, oder Infektionen bis hin zur Sepsis und dem Tod. Haben die Mädchen überlebt, müssen sie meist langfristig mit gesundheitlichen Problemen kämpfen“, erläutert Univ.-Prof. Dr. med. Marcus Lehnhardt. „Das können beispielsweise vernarbte Wunden, Fisteln und Schmerzen sein. Manche Betroffene verfügen nur noch über ein eingeschränktes oder auch nicht vorhandenes sexuelles Empfinden, andere leiden unter Inkontinenz“, führt der Plastische Chirurg weiter aus.

Möglichkeiten einer Rekonstruktion
Bei einer Rekonstruktion ist oft mehr möglich, als es zunächst den Anschein hat. Die Klitoris kann eine Länge von bis zu dreizehn Zentimetern erreichen, so dass oft auch nach einer Beschneidung noch genügend Gewebe für eine Rekonstruktion vorhanden ist. Bei der Operation wird zunächst vernarbtes Gewebe, das durch die Beschneidung entstanden ist, entfernt, und dann das Halteband der Klitoris durchtrennt. Dadurch werden mehr unverletzte Anteile freigelegt, die dann neu positioniert und fixiert werden. Optimalerweise können dadurch die Sensibilität und Funktion spürbar verbessert werden. Oft steht außerdem genügend Gewebe zur Verfügung, um zudem eine Klitorisvorhaut sowie neue Labien zu formen.

Allerdings betont Lehnhardt, dass chirurgische Maßnahmen allein für betroffene Frauen oft nicht ausreichen. Wichtig sei eine psychosoziale Begleitung, Gespräche und der Kontakt mit anderen Betroffenen – so wie es auch über FIM stattgefunden hat – entscheidend. Für die operative Expertise hingegen konnte FIM eine Kooperation mit dem Plastischen Chirurgen PD Dr. med. Dan mon O’Dey aufbauen. Seit 2021 wurde so über 50 Frauen geholfen. Die Finanzierung des Eingriffs übernehmen in der Regel die Krankenkassen, in bestimmten Fällen auch das Sozialamt oder Stiftungen.

Gesellschaftliche Aufklärung als Ziel
Nach Schätzungen des Familienministeriums leben rund 74.000 Frauen und Mädchen in Deutschland, die von FGM/C betroffen sind. Doch nur wenige finden Zugang zu medizinischer Hilfe, da spezialisiertes Wissen nach wie vor rar ist. Projekte wie das in Hessen aufgebaute Beratungs- und Versorgungsnetzwerk leisten hier Pionierarbeit.

Mit Filmvorführungen und begleitenden Publikumsgesprächen möchte die Gruppe künftig bundesweit Aufmerksamkeit schaffen, Integration fördern und Aufklärung in die Communities hineintragen. Das Projekt zeigt: Stärkung und Heilung entstehen nicht nur durch chirurgische Behandlung, sondern auch durch Teilhabe, Selbstvertretung, Gemeinschaft und kreative Ausdrucksformen.

Die DGPRÄC würdigt mit der Preisvergabe den beispielhaften Mut der Betroffenen, angesichts des sensiblen und intimen Themas ihre Geschichte zu teilen und damit auch die Möglichkeiten aufzuzeigen, die plastisch-rekonstruktive Chirurgie eröffnen kann. Der Preis „Der besondere Patient“ soll zugleich Aufklärung fördern, Empathie stärken und anderen von FGM/C betroffenen Frauen Mut machen, sich Hilfe zu suchen. Die Verleihung des mit 3.000 Euro dotierten Preises fand im Rahmen der 55. DGPRÄC-Jahrestagung am 25. September 2025 in Leipzig statt.