Beim zweiten Mal ist alles anders …

Im November 2022 reiste das INTERPLAST-Team aus Bad Kreuznach zum ersten Mal nach Beira, einer großen Hafenstadt in Mozambik  im südwestlichen Afrika. Nun waren wir, Dr. André Borsche, seine Frau Dr. Eva Borsche, die Gynäkologin Dr. Christiane Meigen aus Idar-Oberstein, der OP Pfleger Sinischa Wagner aus Hamm und die beiden Anästhesistinnen Dr. Gabi Larosée aus Essen und Dr. Anna Fischbach aus Aachen zum zweiten Mal unterwegs in das große staatliche Krankenhaus von Beira.

Das Team

Was hatte sich alles derweil In der Zwischenzeit verändert? Die engagierten Kollegen vor Ort hatten all unsere Vorschläge, wie man unter den gegebenen begrenzten Bedingungen die Behandlung der Kranken verbessern und die Arbeitsabläufe effektiver gestalten könnte, umgesetzt: wenn wir vor einem Jahr unsere Patienten in verrosteten Betten ohne Decken in schmutzigen Krankensälen zwischen unsauberen Verbänden, Eitergeruch und vor Schmerz schreienden Kindern  aufsuchen mussten, so liegen sie nun in frischer Bettwäsche in verstellbaren Kunststoffbetten, ausreichend mit Medikamenten aus Deutschland versorgt. Fußboden und Wände sind frisch gestrichen und glänzen vor Sauberkeit. Die kleinen Patienten, die sich mit ihren Müttern oder Geschwistern die Betten teilen, strahlen vor Dankbarkeit. 2022 war bis zu unserer Ankunft kaum etwas vorbereitet. Zu unsicher war man damals bezüglich der Zuverlässigkeit der unbekannten Gäste. Entsprechend schleppend stellte sich nach und nach der Patientenstrom ein. Planen war unmöglich.

Dieses Mal hatte die chirurgische Chefärztin Doktora Zelia schon Wochen vorher 48 Verbrennungspatienten für uns ausgewählt, uns zur Vorbereitung Fotos ihrer Entstellungen geschickt, alle rechtzeitig angerufen und zu unserer Ankunft einbestellt. Keiner der 48 kommt zu spät! Einige sind von weither schon Tage zuvor angereist und nächtigten in Beira bei Verwandten. Die Hoffnung auf eine Wiederherstellung der verkrüppelten Hand oder der Entlastung eines vernarbten Halses, der das Kinn immer weiter auf die Brust zieht, lässt sie Hunger, Durst und ermüdende Tagesreisen bei sengender Hitze auf sich nehmen.

Freude auf allen Seiten

Akute medizinische Hilfe ist in Mozambik höchstens in den großen Städten möglich. Auf dem Land bleiben die frisch verbrannten Kinder unversorgt. Theoretisch werden in Mozambik, einem traditionell sozialistischen Land, die Kosten für die Krankenbehandlung vom Staat übernommen. Praktisch ist das jedoch nicht mehr als eine Mangelverwaltung: wir sehen sieben Kinder mit Wasserköpfen und Geburtsfehlbildung, die seit Wochen auf die lebensrettende Operation warten. Doch erst als unsere Anästhesisten einige Ampullen Atropin zur Verfügung stellen, können diese armen Wesen gerettet werden. Da Verbandsmaterial fehlt, laufen die kleinen Verbrennungspatienten mit durchnässten Kompressen, notdürftig mit Baumwollfäden umwickelt über die Flure.

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Anästhesie vom Feinsten

Der Hauptengpass aber ist das Personal, besonders die Fachärzte: Kubaner und Nordkoreaner, die für begrenzte Zeit eingesetzt werden, können die Lücken nicht schließen. Auf Qualität oder menschliche Eignung kann kein Wert mehr gelegt werden. Jeder wird eingestellt. Schwere Zwischenfälle aufgrund ärztlichen Versagens müssen in Kauf genommen werden. Die Resignation ist groß. Unglaublich ist vor diesem Hintergrund, dass drei Kollegen, der Chirurg Dr. Mario, Doktora Zelia und der chirurgische Assistenzarzt Dr. Achmed in all dieser Macht- und Mittellosigkeit vor Optimismus, Empathie und Schaffensfreude nur so strahlen. Ihre unbegrenzte Einsatzbereitschaft, visionäre Zielsetzung, ihre Unbeirrbarkeit, Zuverlässigkeit und tief gefühlte Verpflichtung den Armen und Chancenlosen gegenüber, dürfen wir jeden Tag aufs Neue erfrischend, Hoffnung vermittelnd und Sinn stiftend erleben. Wohlstand und persönlicher Luxus in Europa lockt sie nicht. Sie lassen ihre Patienten in Beira nicht im Stich!

Das größte Geschenk, das wir ihnen mitbringen, ist die Lehre, durch die sie bei Dr. André Borsche gehen dürften. Keine Operation fand ohne unsere wissbegierigen und gelehrigen Kollegen statt. In der zweiten Woche unseres Einsatzes können wir sogar einen zweiten Operationssaal eröffnen, wo mozambikanische Ärzte selbstständig kleine Patienten nach deutschem Vorbild operieren. Sinischa Wagner hatte alle Hände voll zu tun, seine zahlreichen Kollegen in der OP Pflege zu planvollem, hygienisch einwandfreiem und ökonomischem Handeln anzuleiten. Auch die Narkose musste natürlich so sicher sein wie in Deutschland. Und das war angesichts des Mangels an Material, Medikamenten und Fachkräften die größte Herausforderung. Doch mit gemeinsamer Willensanstrengung, Kreativität und Improvisationsgeist können wir alle 48 uns vorgestellten Kinder operieren.

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Gemeinsames Operieren

Die 8 jährige Valquirria kommt mühsam humpelnd an zwei Krücken herein. Mit zwei Jahren hatte sie einen Topf mit kochendem Wasser von dem wackeligen Gaskocher gezogen und beide Füße tief verbrannt. Ihr rechter Fuß bekommt nun ein Transplantat aus der Bauchhaut. 7 Tage muss sie jetzt mit hochgelegtem Bein im Bett verbringen. Nach einer weiteren Woche können die Drähte, welche die Zehen und Mittelfußknochen stabilisieren, gezogen werden. Dann darf sie die ersten Schritte auf einem gesunden, gerade gerichteten Fuß wagen.

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Operation gut überstanden

Deolindas Leben veränderte sich vor 11 Jahren durch eine Stichflamme aus der Kerosinflasche: ihr gesamtes Gesicht, Brust und Arme sind seitdem durch das Feuer entstellt. Die Nase ist weggeschmolzen, die Haut um den Mund herum geschrumpft, sodass sie ihn nicht schließen kann. Das wichtigste aber sind die fehlenden Lider. Tag und Nacht starrt sie so mit weit geöffneten Augen vor sich hin. Unsere Operation kann ihr durch Hauttransplantate wieder Augenlider und einen Mundschluss geben. Nach einer Woche lösen wir vorsichtig die Verbände und dürfen erleben, dass alle verpflanzten Hautareale gut eingeheilt sind. Deolinda versucht dankbar mit ihrem neuen Gesicht ein wenig zu lächeln.

Eine Überraschung erleben wir gegen Ende des Einsatzes: 2022 mussten wir einen kleinen bis auf Haut und Knochen abgemagerten Jungen ablehnen, weil er die Strapazen einer Operation nicht überlebt hätte. Wir ließen der sehr besorgten Mutter Geld da, in der Hoffnung, dass sie das Kind mit viel Geduld doch noch vor dem Hungertod retten könnte. Sein Schicksal ließ uns lange nicht los. Jetzt bittet uns ein kleiner Junge, sein verkrüppeltes rechtes Händchen geradezurichten. Ist es tatsächlich René, das apathisch ausgemergelte Wesen von 2022! Dieses Mal ist er kräftig genug, sodass wir die Operation wagen können.

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Am nächsten Morgen bei der Visite begrüßt er uns fröhlich mit seinen Verband winkend, während er sich von seiner überglücklichen Mutter mit großem Appetit Suppe füttern lässt.

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René staunt über die operierte Hand

Nach zwei Wochen, sind wir alle menschlich zusammengewachsen, wir, die Patienten und unsere mozambikanischen Kollegen. Wir werden in intensiven Email Austausch bleiben. Das dritte Mal, ein Einsatz im November 2024 ist schon fest eingeplant …

Eva Borsche