Weibliche Genitalverstümmeldung in Deutschland – Rekonstruktion ist möglich

Berlin, 29.06.2020 – In Deutschland steigen die Zahlen weiblicher Genitalverstümmelung stark an, dies offenbart eine unlängst veröffentlichte Studie, die das Bundesfamilienministerium in Auftrag gegeben hat.
Hierzulande leben knapp 68.000 Betroffene, die eine Genitalverstümmelung erlitten haben. Überdies sind rund 15.000 hier lebende Mädchen von einer Beschneidung bedroht, viele davon leben in zweiter Generation in Deutschland. Anlass für die erhöhten Zahlen, so die Studie, sei die stärkere Zuwanderung aus Herkunftsstaaten, in denen die weibliche Genitalverstümmelung praktiziert wird. Dazu gehören unter anderem Eritrea, Somalia sowie Ägypten.
Die chirurgische Rekonstruktion der Geschlechtsmerkmale ist möglich.
Im Desert Flower Center im Krankhenhaus Waldfriede werden seit dem Jahr 2013 Frauen medizinisch und psychosozial betreut, die Opfer einer Genitalverstümmelung geworden sind. Der Plastische Chirurg Dr. Uwe von Fritschen ist dort Kooperationspartner und führt dort die Eingriffe durch.
„Neben Chirurgen stehen den Patientinnen auch Psychologen, Seelsorger, Sozialdienst und Selbsthilfegruppen für eine weitergehende oder ergänzende Betreuung bereit“, berichtet Dr. von Fritschen von dem einzigartigen interdisziplinären Ansatz. „430 Frauen haben wir bis dato betreut, bei 165 die Klitoris und die äußeren Geschlechtsmerkmale wiederhergestellt.“

Formen der Genitalverstümmelung
Wie weitreichend operiert werden müsse, hänge von der Art der Verstümmelung ab. Diese reiche von der Beschneidung der Klitoris-Vorhaut, über die Klitoris-Eichel und/oder der inneren sowie teilweise äußeren Schamlippen, die werden dann teilweise an den offenen Wundrändern miteinander vernäht, so dass nur noch eine winzige Öffnung verbleibt. Diese so genannte Infibulation erfolge mit oder auch ohne Schädigung der Klitoris, erläutert der Chefarzt der Klinik für Plastische und Ästhetische Chirurgie des HELIOS Klinikums „Emil von Behring“ in Berlin.
„Alle Formen bringen neben kurzfristigen Risiken im Rahmen des Eingriffes, etwa der Übertragung von HIV, Infektionen bis hin zur Sepsis und dem Tod, auch langfristige Probleme, wie etwa Vernarbungen, Fisteln und Inkontinenz, sowie eingeschränktes oder auch nicht vorhandenes sexuelles Empfinden und Schmerzen mit sich“, schildert der Plastische Chirurg das Leid der Betroffenen.
„Das Ausmaß und die erforderlichen Maßnahmen sind bisher noch nicht realisiert. Insbesondere mangelt es an Aufklärung, dass die weibliche Genitalverstümmelung in Deutschland seit 2013 ein eigener Straftatbestand im deutschen Gesetzbuch ist, die mit einer mindestens einjährigen Freiheitsstrafe einhergeht. Ärzte berichten über Nachfragen, wo in Deutschland die Beschneidung durchgeführt werden könnte. Es muss darüber aufgeklärt werden, dass weder der Koran noch eine andere religiöse Schrift die Beschneidung weiblicher Genitalien fordert und dass die Beschneidung keinerlei Vorteile bringt“, fordert Dr. von Fritschen.

Rekonstruktion und ganzheitliche Betreuung
„Bei der Rekonstruktion kommt uns zugute, dass die Klitoris bis zu dreizehn Zentimeter lang ist und häufig auch genug Gewebe verblieben ist, um neue Schamlippen zu formen“, informiert Dr. von Fritschen.
„Im Rahmen der Operation entfernen wir zunächst vernarbtes Gewebe, danach durchtrennen wir das Halteband der Klitoris und fixieren diese neu. Sofern ausreichend Gewebe vorhanden ist, wird auch die Klitoris-Vorhaut neu angelegt und die Schamlippen neu geformt“, fasst der Plastische Chirurg die operativen Möglichkeiten zusammen. „Allein mit dem Skalpell kann den betroffenen Frauen zumeist nicht geholfen werden. Daher ist der interdisziplinäre Ansatz im Krankenhaus Waldfriede von besonderer Bedeutung. Die Patientinnen benötigen den Austausch mit anderen Betroffenen und die psychosoziale Begleitung vor und nach dem Eingriff“, schließt Dr. von Fritschen und stellt klar, dass der Eingriff von der Krankenkasse, unter Umständen auch vom Sozialamt oder der Stiftung finanziert werde. „Alle Operationen, die bei uns durchgeführt werden, sind medizinisch begründete Operationen. Es ist uns allen ein besonderes Anliegen, auf unser Hilfsangebot aufmerksam zu machen, so dass die Betroffenen sich aus ihrer Isolation lösen, Scham überwinden und Unterstützung suchen.“