Geprüft in Südkorea, zugelassen in Europa:
Wie TÜV & Co. als Benannte Stellen Medizinprodukte zulassen

Berlin – „Einer gemeinsamen Undercover-Recherche von ,British Medical Journal’ und ,Daily Telegraph’ ist es zu verdanken, dass die verschlungenen Wege der europäischen Medizinprodukte-Zulassung anhand eines Beispiels transparent wurden“, leitet Prof. Dr. Peter M. Vogt, Präsident der Deutschen  Gesellschaft der Plastischen, Rekonstruktiven und Ästhetischen Chirurgen (DGPRÄC), ein. Die britischen Journalisten hatten sich verdeckt um die Zulassung einer fiktiven Hüftprothese aus Metall bemüht. Zwei baugleiche Produkte wurden bereits vor Monaten vom Markt genommen, eines wird aktuell geprüft.

Benannte Stellen im Dienste des Kunden
„We are paid by the manufacturer and therefore want an application to succeed”, gab der Mitarbeiter des südkoreanischen Büros einer tschechischen Benannten Stelle zu. Ein Mitarbeiter in der Tschechei bestätigte gar, dass man auf der Seite des Herstellers und seiner Produkte – nicht auf Seite des Patienten stehe. „Beide Aussagen bringen das Kernproblem auf den Punkt“, urteilt Prof. Vogt und erläutert, dass Medizinprodukte in Europa durch über 70 so genannte „Benannte Stellen“ zugelassen werden, durch die sie das begehrte CE-Zeichen erhalten. „Dazu prüfen die Stellen nicht etwa das Produkt, sondern eine technische Dokumentation, die Aufschluss über Beschaffenheit, Zweck und Herstellungsprozess gibt. In einem zweiten Schritt folgt eine Werksbegehung“, berichtet Prof. Vogt. Für den vorliegenden Bericht hätten die Journalisten ein Dossier zu einer metallenen Hüftprothese erstellt, die offensichtlich baugleich mit den vom Markt genommenen Implantaten gewesen sei. Dieser Umstand sei sogar aus den eingereichten Unterlagen erkennbar gewesen. „Trotzdem hat ein slowakisches Unternehmen letztlich versichert, dass die eingereichten Unterlagen eine Marktzulassung ermöglichen, dass allerdings noch eine Werksbegehung notwendig sei. Keines der 14 angeschriebenen Unternehmen hatte bis zur Veröffentlichung mitgeteilt, dass eine Zertifizierung nicht möglich sei. Vier äußerten immerhin Bedenken. Das ist schlicht nicht nachvollziehbar“, betont der Plastische und Ästhetische Chirurg.

Wettbewerb um Preis, Geschwindigkeit und Zertifizierungsraten
„Im Kern sind durch die Recherche drei Hauptprobleme deutlich geworden. Zwar darf sich ein Hersteller laut Rechtslage nur bei einer Benannten Stelle um Zulassung bemühen – da diese aber nicht vernetzt sind, lässt sich nicht prüfen, ob bereits ein Antrag gestellt worden ist. Hinzu kommt, dass die Stellen teilweise offenbar beratend tätig sind – auch dies wird durch die Rechtslage nicht gedeckt. Schließlich agieren Niederlassungen von Benannten Stellen aus der EU offenbar völlig legal als Benannte Stellen in Asien und sorgen hier für den europäischen Marktzugang – fernab jeder Kontrolle. Hier wird unverhohlen auch die Beratung zur Zulassung angeboten und Tricks verraten, wie man einem in Asien produzierten Produkt den Anschein verleiht, aus Deutschland oder einem anderen EU-Land zu kommen. Aber auch in Europa und bei durchaus prominenten Benannten Stellen scheint der Marktzugang weniger am Produkt, als am Verfahren zu liegen. So konstatierte ein Mitarbeiter des TÜV Ungarn, dass die Zulassung, selbst bei problematischen Hüftimplantaten, nur eine Frage der Zeit sei. Zwar sei der TÜV die teuerste Benannte Stelle im Test – man solle ihn jedoch trotzdem wählen, da er, so wörtlich, für jedes Produkt irgendwie einen Weg zur Zertifizierung finde. Dies sei ein Alleinstellungsmerkmal. In einer späteren Stellungnahme verneinte der TÜV diese Aussagen, beantwortete aber nicht die Fragen zur Dauer des Zertifizierungsprozesses.

„Offensichtlich sind diese vom ,British Medical Journal’ aufgedeckten offenen Türen zum Missbrauch den Verantwortlichen in der europäischen und deutschen Gesundheitspolitik nicht bekannt. Es kann nicht sein, dass immer höhere Anforderungen an Behandlungs- und langfristige Ergebnisqualität alleine von den Ärzten geschultert werden sollen – die Bewertung von Qualität , Effizienz und Sicherheit von Medizinprodukten vor ihrer Zulassung dagegen weiterhin aber keine Rolle spielt“, gibt Prof. Vogt zu bedenken. Bereits im Zuge des PIP-Brustimplantate-Skandals 2011/12 habe die DGPRÄC weit reichende Novellierungen der Medizinprodukte-Zulassung gefordert. „Einige unserer Forderungen, wie etwa ein zentrales, unabhängiges Register, sind nun tatsächlich Teil des aktuellen Vorschlages der Europäischen Kommission. Die Anregungen zu einer Nutzenbewertung vor Markteinführung oder einer Verstaatlichung des Zulassungsverfahrens sind leider nicht berücksichtigt worden“, schließt der Präsident der DGPRÄC.

Quellen:
www.telegraph.co.uk/health/healthnews/9632006/Faulty-medical-implants-investigation-Were-paid-by-manufacturer-so-want-deal-to-succeed.html# (Daily Telegraph)
www.bmj.com/content/345/bmj.e7090 (British Medical Journal)

Definition „Benannte Stellen“:
www.dimdi.de/static/de/mpg/adress/benannte-stellen/
http://de.wikipedia.org/wiki/Benannte_Stelle